Haben wir das Glück verlernt?

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Ein Foto. Verblasste Farben, Menschen bis zum Horizont. Love Parade, 1998. Die Welt zu Gast in Berlin. Sommer, Sonne, grenzenlose Ekstase. Kein Nachdenken, kein Zögern, einfach sein. Ein einziger, flirrender Moment des Glücks.

Neulich habe ich dieses Foto gesehen und mich gefragt: Wo ist es hin? Das Glück. Damals war es so einfach. Ein Beat, der durch die Straßen rollt, Arme in die Luft, Körper in Bewegung – ein kollektives Gefühl von Freiheit, das niemand hinterfragt hat. Man war einfach da, mittendrin, in einem Strom von Musik und Menschen, die für einen Tag alles andere hinter sich ließen. Heute? Heute muss alles einen Purpose haben, alles muss ausgewogen sein, reflektiert und verantwortungsbewusst. Man darf sich nicht zu sehr freuen, nicht zu laut lachen, nicht zu unbeschwert sein. Das Glück ist politisch geworden – und damit eine Sache des Streits, der Abwägung, der Kontrolle.

Vielleicht ist es genau das, was fehlt: die Unbefangenheit. Glück war einmal ein Gefühl, das man einfach hatte, ohne es zu rechtfertigen. Heute wird es seziert, diskutiert, eingehegt. Wer zu glücklich ist, macht sich verdächtig. Euphorie gilt als unanständig. Es ist, als hätten wir das Glück in eine Vitrine gestellt – als Museumsstück einer vergangenen Zeit, die es so nicht mehr geben darf.

Natürlich, die Welt ist komplizierter geworden. Man kann sich nicht mehr blindlings in die Nacht stürzen. Wer weiß, was passieren kann. Man kann nicht mehr sorglos genießen, ohne sich bewusst zu machen, dass Glück ungleich verteilt ist. Aber bedeutet das, dass wir darauf verzichten müssen? Muss alles immer Sinn haben, muss jedes Lachen erst eine Berechtigung erlangen? Warum ist es uns so unangenehm geworden, einfach zu sein?

Ein neues Biedermeier macht sich breit. Biedermeier reloaded. Alles soll geregelt sein, geprüft, reflektiert, verträglich für alle. Man fühlt sich sicher in dieser wohltemperierten Welt, in der es für jede Emotion eine angemessene Dosis gibt. Doch während wir alles in maßvolle Bahnen lenken, verlieren wir den Rausch. Den plötzlichen Moment des Überschwangs, in dem man sich für einen Augenblick selbst verlässt und aufgeht in etwas Größerem.

Der Rausch? Zu gefährlich. Die Leichtigkeit? Zu naiv. Das Kollektive? Zu unkontrollierbar. Also bleiben wir auf Abstand, beäugen uns, wägen ab, halten die Balance zwischen Pflicht und Selbstfürsorge. Glück ist heute eine private Angelegenheit, eine Sache der Optimierung. Es gibt Apps, die uns helfen, uns glücklicher zu fühlen. Ratgeber, die uns beibringen, wie man es richtig macht. Glück soll dosierbar sein, berechenbar, individuell – aber nie zu exzessiv, nie zu laut, nie so, dass es andere stören könnte.

Und so haben sich viele mit der fortgesetzten Abwesenheit des Glücks arrangiert. Oder es sogar als unsittlich, problematisch, verdächtig erklärt. Wer sich fallen lässt, macht sich angreifbar. Wer für einen Moment nicht grübelt, hat nicht genug nachgedacht. Dabei war Glück nie eine Frage der Vernunft. Es lebt im Übermaß, im Unvernünftigen, im Moment, der nicht gezählt, nicht gewichtet, nicht dokumentiert werden muss.

Aber was, wenn wir es uns zurückholen? Nicht das private, maßgeschneiderte Glück, das in Achtsamkeitsratgebern empfohlen wird. Sondern das gemeinsame Glück. Das Glück, das zwischen Menschen entsteht, in einem Raum, in einem Moment, wenn alle für einen kurzen Augenblick vergessen, wer sie sein sollen, und einfach sind.

Vielleicht haben wir vergessen, wie das geht. Vielleicht müssen wir es wieder lernen. Uns nicht fragen, ob das, was wir empfinden, richtig ist. Sondern es einfach fühlen. Vielleicht braucht es wieder Musik, die so laut ist, dass sie keine Zweifel mehr zulässt. Straßen voller tanzender Menschen, die für einen Tag alles andere vergessen. Ein Gefühl, das nicht optimiert werden kann. Glück – ohne Agenda, ohne Rechtfertigung, ohne Fußnote.

Vielleicht wird es Zeit, uns daran zu erinnern.

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Have We Forgotten How to Be Happy?